wundersames Flüchtlingsprojekt gestartet

Erst Eindrücke bei der kreativen Spielwiese mit geflüchteten Kindern in der Erstaufnahme – Bernecker Straße, BT

Noch ein bisschen respektvoll schüchtern glaubt man Neuland zu betreten, sobald man durch das Bauzauntor gegangen ist und dann wie alle geflüchteten Menschen hinaus auf die stark befahrene  Strasse schaut. Doch dieser erste Eindruck verändert sich schnell, als die Kinder zu uns kommen, neugierig, was wir alles in den Hof hineintragen: lange Murmelbahnen, Straßenmalkreide, Riesenseifenblasen, Malpapier, Wackelaugen und Stifte, ein buntes Brettpuzzle, Schafwolle zum Filzen von Rasseln….

Es kommen auch die Eltern und andere Erwachsene dazu, wohl genauso gespannt, warum wir da sind. Auch die Leitung des Hauses und die Security begrüßen unsere Idee aufs Freundlichste. Sie stellen uns alle Räume vor, in denen wir unsere Aktionen durchführen können und wo es Wasser und Strom gibt. Sogar eine kleine Spielecke, genauso abgetrennt wie alle anderen Bereiche für die Bewohner_innen mit Plastik behängte Bauzäune, ist mit kleinen Tischen und Stühlen bereit.

Ein Lächeln überwindet jede Grenze

Vom ersten Moment an wissen wir alle, dass wir uns nur über das Lächeln und unsere Hände und Gestik verständigen können. Das Einfachste ist also, einfach loszulegen, die mitgebrachten Dinge aufzubauen und die Kinder in jede Aktion mit zu nehmen. Manche Erwachsene können englisch sprechen, sie werden im Laufe der Woche immer wieder wichtige Mitteilungen an die kleinen Spieler und Spielerinnen weiter geben, z.B. dass wir für diese Woche jeden Tag ab 14 Uhr kommen möchten.

Die Murmelbahn ist sofort ein wirkungsstarker Spielfreund und alle bauen Bahnen und lassen die Murmeln durch die Kurven fliegen. Ohne es gleich zu bemerken, fliegen die meisten Murmeln nach kurzer Zeit in die Taschen der Kinder und von 3000 mitgebrachten Murmeln bleibt uns ein kleiner Rest.

Wir buchen es erst mal unter „Spende“ ein, denn die vielen Handzeichen, dass doch die Murmeln für uns alle da sind und sie in der Murmelbahn flitzen wollen, bringt uns keine Murmel zurück.

Und es soll auch nicht aufhören, dass die Kinder immer wieder in unsere Töpfe schauen und die mitgebrachten Dinge nicht nur bespielen, sondern auch behalten wollen. Unsere Augen müssen also ein bisschen fokussierter arbeiten.

 

Diese Erfahrung war für uns sehr wichtig und natürlich versuchten wir es uns zu erklären:

Die Kinder sind seit einigen Tagen in Deutschland angekommen und bestimmt bringen sie uns in ihren kleinen Köpfen mit anderen „Bringerdiensten“ wie die Kleiderkammer, Essensausgabe, in Zusammenhang.

Mit Behutsamkeit die Kinder abholen

Genauso stellten wir uns vor, wie jede Familie auf der Flucht für sich kämpfen musste und der Gemeinschaftsgedanke bestimmt in den Hintergrund treten mußte.

Aber natürlich soll das Mitnehmen kein Normalzustand bleiben und so werden unsere Handzeichen immer klarer, wann und ob sie die mitgebrachten Materialien frei bewegen oder zusammen mit uns teilen können.

Alle, wirklich alle lachen im Spiel, sie spielen gemeinsam, sie diskutieren, sie bauen immer höher, immer länger, immer stabiler, sie erobern die Materialien.

Und vielleicht haben wir es geschafft, die Kinder ein paar Stunden aus ihrer alltäglichen Sorge heraus zu holen, versunken im Spiel und beim Gestalten von unbekannten Welten.

Am ersten Tag waren wir alle schüchterner, am zweiten Tag schon offener und die Kinder merkbar glücklich, dass wir wirklich wieder gekommen sind, wie wir es am Abend davor gesagt hatten. Und immer öfter konnten wir uns mit Namen ansprechen, was die Spielwiese umso persönlicher werden lies.

Flexibilität ist gefragt

Einige Spiel- und Kreativideen, die wir im Vorfeld gesponnen haben, mussten wir erstmal zurück stellen. Die große Strasse vor der Einrichtung ist so stark befahren und nahe des Gewerbegebiets, dass wir uns gar nicht getraut haben, mit den Kindern, die teilweise unter 6 Jahren waren, das Gelände für das Erobern neuer Spielorte zu verlassen. Die verschiedenen Sprachen taten ihr übriges und die Eltern hätten in dieser kurzen Kennlernzeit bestimmt nicht das nötige Vertrauen zu uns aufbauen können.

Eine vorbereitete Foto-Lichtspiel-Aktion haben wir ebenso ausfallen lassen, weil wir bewusst erfahren haben, dass man traumatisierte Menschen, also auch Kinder, nicht ablichtet, auch wenn sie im freien Spiel und Gestalten involviert sind.

Einige Prozesse und Ergebnisse haben wir im Bild trotzdem festgehalten, doch aufgepasst, dass niemand deutlich erkannt wird. Und natürlich haben wir jedem das geknipste Foto gezeigt.

Die Idee, bunte Rasseln zu filzen, entstand aus einem Gespräch mit einem Vater, der uns vom leckeren Schaffleisch zu Hause in Afghanistan erzählte, das hier so teuer ist und die Wolle im Winter ganz toll wärmt. Die Kinder haben dieses Angebot voller Einsatz mitgemacht und das Material sofort erkannt.

Und auch hier war es überhaupt nicht wichtig, eine gemeinsame Sprache zu sprechen: das Tun und Schauen, wie machen es die Anderen, reichte aus, dass alle das Filzen gelernt haben.

Dass jeder seine gefilzten Rasseln behalten konnte, hat uns allen gefallen.

Jeden Tag aufs Neue haben die Kinder die Erfahrungen des letzten Tages neu ausgebaut: die Riesenseifenblasen wurden immer skulpturaler und konnten länger „leben“, weil man sie lieber bestaunte und ihren Weg in den Himmel beobachten wollte. Aber auch das Hinterherrennen und im Kollektiv platzen lassen war natürlich eine laute, lustige Gaudi.

Die Holzunterlegplättchen für die Murmelbahn wurde sofort neu verortet. Jeden Tag bauten drei Jungs aufs Neue Häuser, das manchmal wieder einstürzten, aber immer wieder in neuem Flair aufgebaut wurden und am Ende sogar mit buntem Tape befestigt wurden, damit sie standhaft waren. Die kleinen Architekten bauten Häuser, ein Haus mit Veranda, eine Villa, ein Balkon, eine große Treppe, ein Zweithaus im eingezäunten Garten.. wie schön wäre es, könnten sie sich irgendwann diese Traumhäuser wirklich bauen und sie dort in Sicherheit einziehen.

Am letzten Tag hat ein buntes Puzzle uns alle an eine Tafel mit Tee und Keksen eingeladen. Die bunte Anziehungskraft war groß und alle halfen mit, die Puzzleteile zu einem Musterbild zusammen zu setzen. Als wir es fertig vor uns auf dem Boden liegen sahen, begann die erste, darauf zu tänzeln, eine andere wollte zeigen, dass man dieses Bild auch als Beet Teppich nehmen könnte und zum Schluss wurde es unsere Picknickdecke, kochten für alle Tee und kauften schnell ein paar Kekse ein.

Nun waren wir alle gemeinsam an einem Tisch und wärmten uns mit Tee und schönen Gedanken an die gemeinsame Woche.

Jeden Tag haben wir uns ein bisschen besser kennen gelernt, uns vertraut und das Spielen und kreative Gestalten emphatisch als Gemeinschaft erlebt. Und ganz nebenbei haben die Kinder neue deutsche Worte gelernt, wie Murmel, Kleber, Stift, blau, gelb, morgen 2 Uhr, heute ist Dienstag…

….und wir konnten jeden Tag, auf dem Weg nach Hause, sagen:

Heute war ein schöner Tag!

Die eigene Fluchtgeschichte und die Herausforderungen an das neuen Leben in der Fremde, konnten die Kinder im freien Spiel zum Ausdruck bringen. Wir alle haben ausprobiert, mit allen Sinnen entdeckt und gespielt, uns kennen gelernt, uns ausprobiert und diese Erfahrungen jeden Tag ein bisschen weiter entwickelt.

So wundersam unser Vereinsname ist, so wundersam war gegen Ende die großartige Gebärde, als zwei Jungen viele Murmeln, die verschwunden waren, wieder zurück in den großen Eimer gebracht haben.

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